Gehen am Strand - Zu sehen im Votiv-Kino.
Der Autor und Regisseur Caspar Pfaundler (Lost and Found, 2002; Schottentor, 2009) gehört zu Österreichs
unterschätzten Filmemachern, was auch daran liegt, dass er für ein eher introvertiertes, melancholisches Kino steht,
das er zudem mit sehr geringen Budgets realisiert. Pfaundlers jüngster, von Peter Roehsler erstklassig fotografierter Film
Gehen am Strand handelt
von einer Reise, die tief ins Existenzielle reicht: Eine psychisch angeschlagene junge Wienerin (Elisabeth Umlauft) kontaktiert
in der Fremde, an einem Ort am Meer, ihren Vater (Karl Fischer), der sie vor Jahren, als sie noch ein Kind war, verlassen
hat. Eine Filmerzählung von stiller Größe.
Stefan Grissemann
profil Nr.19, 4.Mai 2015
Peripathetisches Kino aus Wien: Gehen am Strand
Einmal steht sie am Fenster, dann auf einer Brücke über dem Donaukanal. Wiederholt gähnt Anja ein Abgrund entgegen.
Mit ihrer Diplomarbeit kommt sie ebenso wenig voran wie mit Paul, weil der auch nichts von ihr will. So umständlich die Tür
zu ihrer Wohnung versperrt ist so sperrt Anja sich gegen die Erwartungen ihrer Familie. Das ändert sich erst als ihre geliebte
Oma stirbt und sie zur Verabschiedung nach Holland fliegen muss. Gehen am Strand ist Caspar Pfaundlers bisher reichster, stimmigster Film: das Porträt einer Frau, die ohne Vater aufwuchs und es sich in ihrer Einsamkeit so halbwegs eingerichtet hat (hinreißend: Elisabeth Umlauft in ihrer ersten Hauptrolle). Zugleich ist es ein toller Wien-Film. Unbewusst fühlt man sich dabei an Günter Eichs berühmter Gedichtzeile erinnert: Seid Sand, nicht Öl im Getriebe der
Welt
(Falter 18/2015, Michael Omasta)
Erfolgsformeln gelten hier nicht
ISABELLA REICHER/DOMINIK KAMALZADEH, 14. März 2013
Caspar Pfaundler etwa begleitet seine Protagonistin Anja durch einen Sommer, in dem die 28-Jährige eigentlich ihre Diplomarbeit
fertigschreiben sollte. Aber Anja (Elisabeth Umlauft) sitzt daheim vor Laptop und sorgsam geordneten Bücher- und Zettelstapeln
wie gelähmt, unerklärlich, aber zutiefst verfangen in eigenen Ängsten, unausgesprochenen Wünschen und Anforderungen.
Gehen am Strand beschreibt seine stille Heldin und ihren Zustand sehr präzise, und einen guten Teil dieser Beschreibung gewinnt er aus dem
genauen Erfassen von Anjas Routinen in ihrer Lebensumgebung, der Altbauwohnung und dem Grätzel um die Praterstraße, am Donaukanal.
Man sieht Wien - und sieht es noch einmal neu. Auch wenn die Geschichte gegen Ende vielleicht ein bisschen zu weit ausholt,
behält man diesen schönen Eindruck im Kopf.
(Der Standard, 14.3.2013)
"Gehen am Strand": Bewegung gegen Schreibblockade
Caspar Pfaundlers Spielfilm ist eine reduzierte, aber sehr präzise Studie des Stillstands
Es ist Sommer in Wien, und Anja (Elisabeth Umlauft) plant, endlich ihre Diplomarbeit fertig zu schreiben. Aber sobald sie
vor dem Laptop sitzt, geht nichts weiter. Beziehungsweise könnte man jetzt noch schnell etwas Naheliegendes erledigen, Staubsaugen,
Schuhe putzen, Gesichtspflege. Aber was in zart komischem Tonfall gezeichnet als einfache Prokrastination beginnt,
entwickelt bald die dumpfe Schwere einer veritablen Schreibblockade.
Caspar Pfaundlers bereits 2013 entstandener Spielfilm Gehen am Strand ist eine reduzierte, aber sehr präzise Studie dieses
unerklärlichen, lastenden Stillstands. Allein das Timing, mit dem er von Beginn an die (Selbst-) Wahrnehmung der Heldin erfasst,
ist sehenswert. Mit derselben Genauigkeit, mit der er diese stille, sich immer mehr zurückziehende Protagonistin entwirft,
blickt er auch auf deren Lebensraum in der Wiener Leopoldstadt: die abgewohnte Altbauwohnung unterm Dach mit dem roten Festnetztelefon,
die Wege über den Donaukanal und zurück, die nächtlichen Streifzüge durch die engen Gassen. Ein Wien-Film mit französischem
Gestus gewissermaßen.
(Isabella Reicher, DER STANDARD, 30.4/1.5.2015)
"Gehen am Strand"
Caspar Pfaundler hat dem Zustand des Prokrastinierens seinen dritten Spielfilm gewidmet. "Gehen am Strand" erzählt von der
27-jährigen Studentin Anja, die seit geraumer Zeit "kurz vor der Abgabe" ihrer Diplomarbeit steht und im Angesicht der unlösbar
erscheinenden Aufgabe ihr Dasein grundlegend in Frage stellt.
Prokrastination - "das Verschieben bzw. Aufschieben von anstehenden Aufgaben und Tätigkeiten". So steht es im Duden und so
kennen es viele Studenten und Menschen aus der Kreativwirtschaft aus leidvoller eigener Erfahrung. Caspar Pfaundler hat diesem
Zustand seinen jüngsten Film gewidmet.
Akribisch drapiert die Protagonistin Anja ihre Birnen in der Obstschale, putzt und poliert die Schuhe auf Hochglanz, bedient
Staubsauger und Waschmaschine und beobachtet beim nächtlichen Spaziergang stundenlang fremde Menschen in ihren Wohnungen,
während die Zettelstöße und Bücherstapel auf dem Arbeitstisch unberührt bleiben. Eine nicht bezahlte Telefonrechnung
legt Handy und Internetverbindung lahm, die Kommunikationslosigkeit verstärkt das tagelange Alleinsein und die Lethargie noch
zusätzlich.
Lethargie und Sinnsuche
Weder der Pragmatismus der Mutter noch die teuren Therapiesitzungen können Anjas Ablehnung gegen die Erwartungen an sie Einhalt
gebieten. Erst das Begräbnis der Großmutter in Holland, die dortige Wiederbegegnung mit Eltern und Geschwistern und das einsame
Gehen am Strand bringen notwendige Impulse für eine Veränderung.
Es ist Caspar Pfaundlers dritter Spielfilm nach "Lost & Found" und "Schottentor" und für ihn gleichermaßen der Abschluss
einer "Trilogie des Verlorenseins". Die unbeholfene Suche der bald 28-Jährigen nach der Leichtigkeit des Daseins bringt er
in langen Einstellungen und teils minutenlanger Stille auf die Leinwand. Die Temporeduktion mag irritieren, für Pfaundler
ist das Aufbrechen von Sehgewohnheiten ein Denkanstoß und eine Möglichkeit, zu sich selbst zu finden.
Chronologischer Dreh & improvisierte Dialoge
Dem Film liegt ein detailliertes Drehbuch mit Angaben zu technischen Aspekten, Drehorten und Texten zugrunde. Nur die Schauspieler
bekamen es nie zu Gesicht. Er habe ihnen nur kurz vor Drehbeginn die jeweilige Szene vorgelesen oder Anweisungen erteilt,
um eine möglichst große Unvoreingenommenheit und Unmittelbarkeit zu erzielen, so der Regisseur. Diese Unmittelbarkeit verlangte
allerdings einen chronologischen Dreh und außerdem den Verzicht auf ausgefeilte Dialoge und sprachliche Prägnanz.
"Kein Schauspiel" zum Ziel
In der Hauptrolle debütiert die junge Schauspielerin Elisabeth Umlauft, die Pfaundler bewusst gerade wegen ihrer fehlenden
Filmerfahrung besetzte, eine Entscheidung, die ebenfalls dem Wunsch nach Unvoreingenommenheit und möglichst wenig "Schauspiel
beim Spiel" geschuldet war.
Neben den Schauspielern, die nicht oder kaum spielen, gehörten ein unauffälliges Filmteam und Drehorte, die nicht als
solche ausgeschildert wurden, zu Pfaundlers filmischem Grundkonzept. Keiner der Schauplätze wurde abgesperrt, die Kamera mischte
sich einfach unter die anwesenden Menschen, und Pfaundler ließ die so entstandene Spontanität Teil der Dramaturgie werden.
Später Kinostart
Kurze Gesprächsschnipsel zwischen langen Beobachtungen aus der Ferne, Stillleben von verdorrten Pflanzen und faulendem Obst,
oder ein Telefon, das auch dann nicht läutet, auch wenn es minutenlang angestarrt wird: Pfaundlers Film verlangt viel Ruhe
und Ausdauer von seinem Publikum. Bereits auf der Diagonale 2013 hatte "Gehen am Strand" seine Uraufführung. Dass der Film
erst jetzt, mehr als zwei Jahre danach, regulär in die Kinos kommt, erscheint fast wie ein logischer Teil des Gesamtkonzepts.
Oe1 Kulturjournal, 28.4.2015
Gehen am Strand
Der innere Schweinehund ist hingegen etwas, das bei dem neuen Spielfilm des Wiener Regisseurs Caspar Pfaundler eine Rolle
spielt. In Gehen am Strand gelingt es der Protagonistin nicht, diesen zu überwinden. Die am Ende ihrer 20er Jahre
angelangte Studentin schafft es einfach nicht, ihre Diplomarbeit abzuschließen. Statt der ersehnten Conclusio tauchen vielmehr
immer neue Fragen auf. Fragen wie: Habe ich überhaupt das Richtige studiert?, Wer bin ich? und Wie
selbstbestimmt bin ich in meinem Leben? Antworten erhalten die ZuschauerInnen ebenso wie die Hauptdarstellerin,
die den Film über 100 Minuten trägt freilich nicht. Müssen sie auch nicht. Gehen am Strand ist einer
jener Filme, die unspektakulär mitten im Leben einer Person beginnen und es an einem anderen Punkt fast beiläufig wieder verlassen.
Ein Film, der Zeit braucht und von dem man sich, einmal hineingewachsen, wünscht, er möge noch länger weitergehen. Mit langsamen und reduzierten Bildern erzählt Pfaundler die Geschichte eines inneren Widerstands, nimmt die ZuseherInnen
mit in die selbstgewählte Isolation einer jungen Frau, die alleine in einer Altbauwohnung versucht, ihr Leben auf die Reihe
zu bekommen. Dazwischen stehen regelmäßige Ausflüge in die Natur: vom Beserlpark über die Auenlandschaft rund um Wien
bis hin zur Weite eines holländischen Strandes. Dort, so scheint es, lässt sich atmen, freier denken und letztendlich auch
weitergehen vielleicht sogar zu sich selbst. Ein stiller Film, der lange nachwirkt, von einem Regisseur, der es wunderbar versteht, Stimmungen und innere Gefühlszustände
in Bilder umzusetzen.wieninternational. at
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Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die Schattenseiten dieser Weisheit muss die Hauptfigur in Caspar Pfaundlers Drama Gehen
am Strand am eigenen Leib erfahren. Das Nichterledigen einer Pflicht wird hier zum Alptraum, der in die totale Isolation
führt. Ein Film über die dunkle Macht der Einsamkeit.Man nennt es Prokrastination, das Verhalten, eine als notwendig aber unangenehm empfundene Aufgabe immer wieder zu verschieben,
anstatt sie zu erledigen. In Gehen am Strand leidet die Wiener Studentin Anja unter diesem Zustand. Sie kommt
mit der Fertigstellung ihrer Diplomarbeit einfach nicht voran, eine veritable Sackgasse hat sich aufgetan. Zuerst manifestiert
sich Anjas Antriebslosigkeit in hinlänglich bekannten Ersatzhandlungen: staubsaugen, Schuhe putzen, spazieren gehen - alles
wird eher gemacht, als sich an den Schreibtisch zu setzen.
Lähmung auf allen Ebenen
Bald stellt sich heraus, dass die 27-Jährige nicht nur beim Studieren wie gelähmt ist. Sie schafft es nicht einmal, ihre Handyrechnung
zu bezahlen, weshalb sie von der Außenwelt zunehmend abgeschnitten ist. Man erreicht sie nur am Festnetz und das auch nur,
wenn sie es schafft, den Hörer abzunehmen.
Anja (Elisabeth Umlauft) rutscht immer weiter in die Isolation.Analog zu ihrem beruflichen Stillstand kommt sie auch in der Beziehung zu ihrem Freund Paul nicht voran. Sie vermisst ihn,
wenn er nicht da ist, obwohl gemeinsames Eisessen das Höchste der Gefühle ist, wenn sie zusammen sind. Wahre Intimität kommt
da nicht auf. Nicht einmal ihrer Therapeutin kann sich Anja anvertrauen. Das Einzige, was sie ihr sagen kann, ist: Ich
möchte, dass mir jemand eine Pille verschreibt, und alles ist gut, alles läuft wie geschmiert.
Sex macht leer
Doch Heilung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil, Anja verfällt immer mehr in Lethargie, ein greifbarer Grund dafür ist nicht
vorhanden. Nur während der Streifzüge durch das spätsommerliche Wien und bei ihren regelmäßigen Konditoreibesuchen kommt
sie in Kontakt mit der Außenwelt. Sie hat Sex mit einem Fremden, dessen Namen sie nicht wissen will, und fühlt sich danach
noch leerer als zuvor.
Als ihre Oma stirbt, entschwindet damit die einzige Person, die ihr je wirklich nahegestanden ist. Anja wird aus ihrem Stillstand
gerissen und muss zum Begräbnis nach Holland fliegen. Dort trifft sie ihren seit Jahren abwesenden Vater, mit dem sie es endlich
schafft, ein tiefer gehendes Gespräch zu führen. Aber auch das endet mit Abwehr, Distanzierung, Resignation. Auf den Rat des
Vaters, das Leben doch ein bisschen lockerer zu nehmen, kann Anja nur mit einem Kopfschütteln antworten.Bei ihrem Vater kann Anja für einen kurzen Moment Nähe zulassen.Spaziergänge am StrandAnja flüchtet ans Meer und stellt sich ihrer Einsamkeit. Während der Spaziergänge am Strand spürt sie sich erstmals wieder
selbst und schöpft daraus den Willen, ihr Leben zurück in geordnete Bahnen zu lenken. Die Realität zu Hause holt sie allerdings
viel zu schnell ein, und bald geht es nicht mehr nur um die (Nicht-)Erfüllung von Pflichten, sondern um die schmerzhafte Erkenntnis
der eigenen Dysfunktionalität auf allen Ebenen. Alles wird zur Last: die Einladung der netten Nachbarin, die Geräusche am
Nebentisch, die Besuche von Paul. Anja läuft Gefahr, aus dieser umfassenden Depression aus eigener Kraft nicht mehr
herauszukommen.
Alptraum vs. Erlösung
Regisseur Pfaundler (geb. 1959 in Innsbruck) präsentiert mit Gehen am Strand eine bewegende Charakterstudie, die
gerade deshalb so erschüttert, weil man sich zu Beginn so sehr mit der Protagonistin identifizieren kann. Wer kennt nicht
die Tage, an denen man lieber das Bad putzt oder ganz dringend das Fahrrad reparieren muss, statt sich an die längst fällige
Steuererklärung zu setzen. Was in einem gewissen Rahmen ganz normal ist, wird für Pfaundlers Protagonistin im Verlauf
des Films immer mehr zum Alptraum, aus dem es kein Erwachen zu geben scheint.
Mit perfekt sitzenden Bildkompositionen umrahmt der Regisseur die Verzweiflung, die mit der Selbstisolation einhergeht. Manche
Szenen (langsam verfaulendes Obst als Indikator, wie die ungenützte Zeit verstreicht, und zusammengekauertes Schlafen unter
dem Tisch) erinnern an Ekel (1965) von Roman Polanski, wo Catherine Deneuve in zunehmender Isolation versinkt
und schließlich dem Wahnsinn verfällt.So weit kommt es in Pfaundlers Drama nicht, denn der starke Wunsch, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, ohne fremde Erwartungen
erfüllen zu müssen, wird am Ende der Rettungsanker der Heldin sein. Gehen am Strand ist ein verstörender, beeindruckender
Film, nach dem man nicht mehr so entspannt in der Badewanne liegen wird, während man eigentlich die Ernte einbringen
sollte.Sonia Neufeld, ORF.at
Diagonale startet mit tollen Debüts
Ein Bärenringer trifft auf Philipp Hochmair, von Schlagerstars, neurotischen Studentinnen und Möchtegern-Astronauten. Ein
abwechslungsreiches und hochspannendes Programm am ersten Festivaltag.
Nachdem die Diagonale in Graz Dienstagabend mit Ulrich Seidls "Paradies: Hoffnung", dem letzten Teil seiner "Paradies"-Trilogie,
und der Verleihung des großen Diagonale Schauspielpreises an Maria Hofstätter eröffnet wurde, geht es am Mittwoch mit den
Feierlichkeiten zu Ehren des österreichischen Films unverzagt weiter. Schon die 11h-Vorstellung ist ausverkauft und der erste
Festival-Tag zeichnet sich durch ein unglaublich abwechslungsreiches und hochspannendes Programm junger, österreichischer
Filmemacher aus.
"Gehen am Strand" von Caspar Pfaundler ist die erste Uraufführung an diesem Mittwoch. Anja prokrastiniert in ihrer Wohnung vor sich her und
versucht verzweifelt mit ihrer Diplomarbeit voranzukommen. Anfangs entdeckt man an der Ende-20-jährigen noch liebevoll neurotische
Seiten, wenn sie verträumt in fremder Leute Fenster blickt und sich von der Stimmung Unbekannter einen kurzen Moment lang
anstecken lässt. Doch Anja wirkt fast wie ein Alien im spätsommerlichen Wien; nicht nur weil ihr die Interaktion mit ihrer
Umwelt nicht so recht gelingen mag, sondern auch, weil sie völlig abgeschottet ohne Handy und Internet (sie hat die Rechnungen
nicht bezahlt) in den Tag hineinlebt. Das bietet zwar Platz für die kleinen Freuden des Lebens - zum Beispiel wie erfreulich
die Bewegungen eines Puddings sein können - aber auch für jede Menge Leere.
Dann stirbt plötzlich ihre geliebte Großmutter. Anja muss nach Holland reisen und sieht sich mit ihrer gesamten Familie konfrontiert.
Anja erkennt, dass ihr etwas Essenzielles fehlt, das Selbstverständnis, einfach sein zu dürfen. Elisabeth Umlauft zeichnet
in ihrer ersten Filmrolle das Porträt einer zutiefst einsamen Frau in einer derartigen Farbenpracht, dass einem das Popcorn
im Hals stecken bleibt. Pfaundlers Darsteller durften das Drehbuch übrigens vorab nicht lesen. Die Szenen wurden immer erst
kurz vor dem Dreh besprochen und dann improvisiert. Diese Art zu arbeiten hat nur einen chronologischen Dreh zugelassen. Ein
Luxus, den man sich sonst eher selten leistet.
"Gehen am Strand" von Caspar Pfaundler. Mit Elisabeth Umlauft, Harry Lampl, Claudia Martini, Karl Fischer u.a. Spielfilm,
AT 2013, 112 min, OmeU
(KURIER.at, 14.03.2013)
Verwaiste Seelen und eine Rarität mit Radiohead
Diagonale, Tag 1: Schaffenskrisen, Monsterrollen und ein Musikvideo, das es nie gegeben hat.
GRAZ. Studentin Anja (großartige Elisabeth Umlauft) steckt fest: im Finale ihrer Diplomarbeit, in unbeglichenen Rechnungen
und in der Liebe. Aus Antriebslosigkeit wird soziale Isolation. Caspar Pfaundlers Film "Gehen am Strand", bei der Diagonale
uraufgeführt, begleitet die Verwaisung dieser Seele in kühlen, einsiedlerischen Bildern und Horror-Todesvisionen. Die
einzige Möglichkeit zu kommunizieren stellen - witzige Idee - Telefonzellen, Festnetzapparate und Postkarten dar. Eine Reise
ans Meer holt die Verlorene ein Stück zurück in die Realität. Ein sensibler Film über ein Dilemma, das vielen bekannt sein
dürfte. Freitag, 18 Uhr, Annenhof 6.
(kleinezeitung.at, 31.3.2013)
FESTIVALIER!
Filmjournalist Matthias Greuling bloggt von den wichtigsten Filmfestivals der Welt
Treu bleibt sich auch Caspar Pfaundler. Er zeigt in Gehen am Strand die Befindlichkeit der Studentin Anja (einnehmend:
Elisabeth Umlauft), die mit der Finalisierung ihrer Diplomarbeit hadert und sich zunehmend sozial isoliert. Die Isolation
erhält lebensbedrohlichen Charakter, eine Reise ans Meer bietet Anja die Chance auf eine Rückkehr ins normale
Leben. Pfaundler ist gewohnt sensibel im Vortrag seiner simplen Geschichte. Wie er auch schon in seinem letzten Film Schottentor
mit größtmöglicher Präzision versucht hat, existenzielle Nöte einzufangen, gelingt ihm das auch hier vortrefflich.
(Wiener Zeitung, Matthias Greuling)
Ein Roadmovie durch die Sinnkrise
"Gehen am Strand" ist ein Roadmovie durch eine Sinnkrise.
Es gibt Filme, die das Kino brauchen. Einer davon ist "Gehen am Strand" von Caspar Pfaundler. Sein Film braucht einen
verdunkelten Ort, in dem man ausharrt, bis das Saallicht wieder angeht.
Im Mittelpunkt der Nicht-Handlung steht Anja. Sie ist Ende Zwanzig und fast fertig mit dem Studium, kann sich aber nicht zum
Schreiben der Diplomarbeit durchringen. Ähnlich unentschlossen ist sie in ihren Beziehungen. Im Schwebezustand zwischen Depression
und Rebellion lebt sie ohne Handy und Internet. Als ihre Großmutter in Den Haag stirbt, fährt Anja zum Begräbnis und trifft
dort ihren Vater, der sie und ihre Mutter verlassen hatte, als sie noch ein Kind war.
Beim Gehen am Strand stellt sich Anja Fragen, deren Beantwortung sie aus der Gefangenschaft ihres Gemütszustands befreien
könnten: Wer bin ich wirklich und wie unabhängig sind meine Entscheidungen? Antworten auf diese Fragen gibt es keine
weder für die Protagonistin noch für die Zuschauer. "Gehen am Strand" ist ein Roadmovie durch eine Sinnkrise und nach
"Lost & Found" und "Schottentor" - der Abschluss von Caspar Pfaundlers "Trilogie des Verlorenseins".
Pfaundler erzählt die Geschichte eines inneren Widerstands fast ohne Dialoge und in langsamen, einfachen Bildern. Die Stille
des Films gibt den Zuschauern Raum, die Handlung mit eigenen inneren Monologen zu füllen. Kino als Therapiesitzung, die viel
Geduld erfordert.
(Kurier 30.4., Gabriele Flossmann)